Installation auf dem Neumarkt Dresden
DENKMAL FÜR DEN PERMANENTEN NEUANFANG

In Hautfarbe lackierte Scherenarbeitsbühne, Bronzeguss grün patiniert, Aluminiumguss, polierter Edelstahl, Stahl, mechanische und elektronische Bauteile

Maße: 7,46 m (H) × 3,8 m (B) × 2,5 m (T)


Initiiert und gefördert von der Kunstkommission für Kunst im öffentlichen Raum der Stadt Dresden.

Das Hamburger Künstlerpaar Heike Mutter und Ulrich Genth untersucht Städte und Standorte. Aus den Resultaten ihrer Recherchen entwickeln sie Arbeiten, die tote Winkel der urbanen Routine beleuchten. Als die beiden 2011 nach Dresden kamen, fiel ihnen sofort auf, wie stark das hiesige Selbstverständnis auf die Vergangenheit fixiert ist, und mehr noch, dass Veränderungen häufig große Skepsis hervorrufen– außer eben, wenn Vergangenes rekonstruiert wird. Gerade der Dresdner Neumarkt nach 1990 spiegelt diese Sehnsüchte, nicht nur in Gestalt der wieder aufgebauten Frauenkirche, sondern auch in der anhaltenden, teilweise umstrittenen „originalgetreuen“ Wiederherstellung des gesamten Quartiers. Mit seinem symbolischen und historischen Gepäck stellt der Neumarkt einen ebenso ergiebigen wie kritischen Rahmen für Kunstwerke dar.

Das „Denkmal für den permanenten Neuanfang“ enthält sein Programm bereits im Titel: Es geht um die gravierenden (Ver)Wandlungen, die sich in unserem kollektiven wie auch persönlichen Gedächtnis aufeinander schichten. Diese (Ge)Schichten bestehen aus einer niemals endenden Folge von Neuanfängen. Mutter/Genth setzen jener unglaublichen Energie, sich immer wieder aufzurappeln und neu zu definieren, ein zeitweiliges Denkmal. Nicht umsonst besteht das Podest dafür aus einem fahrbaren Hubsteiger – als Appell an die Mobilität des Denkens und Handelns. Und ändert nicht auch Geschichtsschreibung gerne einmal ihren Standort?

   
 

Das aufragende Objekt wurde aus mehreren Elementen montiert, die nicht auf den ersten Blick zu deuten sind: eine durchlöcherte Kugel, ein Arm mit einem Hammer und eine Art wehender Schal, zusammengehalten von einem Gerüst aus Edelstahl. Letzteres dient in der Knochenchirurgie dazu, Frakturen zu schienen. Der Fixateur ist ein Heilgerät für vergangene Beschädigungen. Am Neumarkt findet etwas Ähnliches statt: die architektonische Therapie von Zerstörungen, optisch möglichst bruchlos. Genau an diesem Ort verbindet nun der Fixateur von Mutter/Genth drei symbolische Accessoires aus der Dresdner Stadtgeschichte zu einer Metallskulptur:
Die perforierte Kugelform verweist auf Elfenbeinkleinodien, die Sachsens zweiter Kurfürst, August (1526-1586) liebte und auch selbst anfertigte. Als legendärer und progressiver Landesvater führte er sein Reich aus dem Mittelalter in die Neuzeit. Dann sehen wir einen sich anmutig kräuselnden Streifen aus hellem Aluminiumguss. Die Vorlage dafür stammt von der Figurengruppe des 1907 eingeweihten Mozart-Brunnens von Hermann Hosaeus auf der Bürgerwiese. Zwar hatte gerade das Jahrhundert der Moderne begonnen, aber stilistisch orientierte man sich lieber am Spätbarock. Ebenso rätselhaft mag zunächst der körperlose Arm nebst Hammer wirken, der knapp über der Bronzekugel schwebt. Dieses Zitat wurde vom Denkmal der Trümmerfrau abgeformt, das der Bildhauer Walter Reinhold 1952, während des Wiederaufbaus der zerstörten Stadt, für den Rathausvorplatz schuf.

   
 

Für ihre Dresdner Bildsynthese bedienen sich Mutter/ Genth absichtsvoll nicht an den gängigen kulturellen Versatzstücken. Vielmehr rücken sie unabgenutzte Aspekte und Objekte ins Licht und erschließen uns damit neue Routen im Erzählraum der Stadt. Das „Denkmal für den permanenten Neuanfang“ verschafft sich jedoch nicht nur visuell Aufmerksamkeit, sondern auch akustisch: In unkalkulierbaren Abständen schlägt der Hammer von 1952 auf die Kugel von 1580 und holt die Passanten in die Gegenwart zurück.

Text Susanne Altmann  

© 2017 Ulrich Genth u. Heike Mutter

   
 

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